Als Google 2008 damit begann, Straßen in Deutschland für seinen Online-Kartendienst „Street View“ zu fotografieren, gab es hierzulande heftige Datenschutz-Debatten. Seither ist es ruhig geworden um die Panorama-Fotos deutscher Vorgärten. Doch ab dem 22. Juni sind wieder Google-Autos auf deutschen Straßen unterwegs.
Datenschutz-Debatten führen in Deutschland zu digitalen Flecken
Mit ganzseitigen Annoncen warb der Suchmaschinen-Gigant vor 13 Jahren in deutschen Zeitungen und Zeitschriften für seinen damals neuen Dienst „Street View“ um Vertrauen. Die Stimmung war zu dieser Zeit gereizt, sogar von einer „Pixel-Burka“ für Fassaden war in deutschen Medien die Rede.
Schließlich gingen nach langem Hin und Her im Jahr 2010 Straßenansichten aus 20 deutschen Großstädten online. Aktualisierte oder flächendeckende Aufnahmen gibt es wegen der deutschen Datenschutzbedenken bisher jedoch nicht. Ab dem 22. Juni werden deshalb neue Aufnahmen in ganz Deutschland gemacht.
Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Was passiert ab dem 22. Juni?
Mittels Kamera-Fahrzeugen und Rucksäcken fotografiert Google ab dem 22. Juni deutsche Straßen und Plätze, Gassen, Wege und natürlich Hausfassaden. Die Aufnahmen sollen bis Oktober 2023 erfolgen. Wann und wo genau Fotos gemacht werden, ist vorab auf einer Google-Webseite nachzulesen.
Ab Mitte Juli plant das Unternehmen die schrittweise Veröffentlichung der neuen Aufnahmen. Mit den neuen Bildern verschwinden dann die bislang gezeigten Aufnahmen aus dem Netz, die in den Jahren 2008 bis 2010 aufgenommen wurden.
"Google Street View" macht neue Bilder im Westen der Pfalz
Warum macht Google neue Bilder von deutschen Straßen?
Wegen einer mitunter erbittert geführten Datenschutzdebatte vor der Einführung von „Street View“ ist Deutschland bis heute das einzige westliche Industrieland, von dem weder flächendeckende noch aktualisierte Straßen-Fotos beim Google-Kartendienst zu finden sind. Die derzeitigen Ansichten im Netz sind dementsprechend veraltet.
„Einige von euch können sich vielleicht noch an den Wirbel im Sommer 2010 erinnern, als wir Street View nach Deutschland gebracht haben. Wir entschieden uns damals, keine neuen Bilder für Deutschland auf Street View zu veröffentlichen, während wir überall sonst in Europa weiteres Bildmaterial hinzufügten und aktualisierten“, heißt es von Google in einem entsprechenden Blog-Beitrag. Die alten Aufnahmen könnten „Straßen und Gebäude von heute nicht mehr angemessen abbilden“.
Vermutet wird, dass auch die neue Apple-Anwendung „Look Around“, die 2022 in Deutschland an den Start ging, dazu beigetragen hat, dass Google nun über neue Bilder nachdenkt – schließlich wartet die Kartendienst-Anwendung von Apple nicht nur mit besseren Aufnahmen, sondern auch mit Fotos aus Gegenden auf, die Google bislang gar nicht abgelichtet hat.
Welche Debatte ging voraus?
Die Fotos der umherfahrenden Google-Autos wurden beim Start von „Street View“ in kaum einem Land so kontrovers diskutiert wie in Deutschland. Darf ein amerikanisches Unternehmen Aufnahmen von Häusern machen ohne die Einwilligung von Eigentümern oder Bewohnern? Wo endet die Privatsphäre und wo beginnt ein legitimes Recht der Öffentlichkeit an Informationen?
Spätestens als bekannt wurde, dass Google-Autos im Vorbeifahren auch Daten von Internetanschlüssen erfasst hatten, wie E-Mails oder Passwörter, war die Politik alarmiert. Die damalige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner sprach 2010 gegenüber der Süddeutschen Zeitung von einer „völlig neuen Dimension der globalen Digitalisierung“. „Banken könnten die Bilder nutzen, um die Kreditwürdigkeit eines Kunden einzuschätzen. Auch zum Ausspionieren lukrativer Einbruchsobjekte eignen sich die Bilder. Manchen ist das egal, aber eben nicht allen“, sagte sie damals.
Wohlgemerkt: Weil das Unternehmen bereits Autokennzeichen und Gesichter automatisiert verpixelt hatte, drehte sich die Debatte 2010 in erster Linie um Hausfassaden. Neben Sicherheitsaspekten wurde auch vielfach befürchtet, dass peinliche oder mindestens unangemessene Fotos das Internet erreichen könnten.
Rund 250.000 Haushalte beantragten in der Folge, Gebäude unkenntlich zu machen. Google spricht von rund drei Prozent der gefilmten Häuser, die im Nachhinein verpixelt worden seien.
Gibt es heute datenschutzrechtliche Bedenken?
Google betont die gute Zusammenarbeit mit den deutschen Datenschützern. Wie der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit mitteilt, habe das Unternehmen im März 2023 datenschutzrechtliche Fragen an die Behörde gestellt. Diese ist zuständig, weil die Deutschlandzentrale des Unternehmens in Hamburg ansässig ist.
Insofern die datenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden, die in einer Stellungnahme der Datenschutzbehörden des Landes und Bundes (DSK) nachzulesen sind, stünde dem Unterfangen nichts im Wege, heißt es aus Hamburg.
Mit einer Einschränkung: Da der Internet-Riese bereits 2022 Straßenaufnahmen zu einem anderen Zweck angefertigt hatte, die nun aber auch für „Street View“ verwendet werden sollen, haben die Datenschützer den Konzern dazu aufgefordert, die Öffentlichkeit über die geänderten Verwendungsmöglichkeiten zu informieren. Auf einer Seite des Unternehmens sind die Regionen aufgelistet, in denen bereits Bilder gemacht wurden.
Zeitwort: Am 8. Februar 2005 startet Google den Online-Kartendienst „Google Maps“:
Was mache ich, wenn mein Haus nicht auf „Street View“ zu sehen sein soll?
Mit den neuen Bildern, die Google in den kommenden Monaten hierzulande aufnehmen wird, verschwinden die bisher gezeigten Straßenansichten aus dem Kartendienst. Das bedeutet aber auch: Wer sein Haus bisher hat verpixeln lassen und dies weiterhin tun möchte, muss für die neuen Fotos einen erneuten Widerspruch einlegen.
Diesen können Betroffene auch schon jetzt einlegen, sie müssen also nicht warten, bis das Bild im Internet ist. Das entsprechende Gebäude wird dann von Beginn an bei „Street View“ nur verpixelt dargestellt.
Der Widerspruch kann per Mail, Formular, Brief oder innerhalb der Google-Anwendung erfolgen, eine Liste der Kontaktmöglichkeiten findet sich bei der Datenschutzbehörde aus Hamburg.
KfZ-Kennzeichen und Gesichter werden wie bisher bereits von Google unkenntlich gemacht. Auch nach der Veröffentlichung von Aufnahmen kann jederzeit eine (zusätzliche) Verpixelung beantragt werden – beispielsweise dann, wenn trotz Unkenntlichmachung noch Personen zu erkennen sind.
Das Unkenntlichmachen erfolgt laut dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in den Rohdaten, sodass Google keine unverpixelten Aufnahmen speichert.
Warum bleibt eine Datenschutz-Debatte wie im Jahr 2010 aus?
Längst sind Menschen an die Digitalisierung bis in den kleinsten Winkel des Alltags gewöhnt, informieren sich im Netz über Reiserouten und teilen privateste Informationen millionenfach über Social-Media-Plattformen freiwillig mit der Welt. Das erklärt mitunter die fehlende Aufregung im Jahr 2023.
So sieht etwa Peter Schaar, der im Jahr 2010 Bundesdatenschutzbeauftragter war, heute den Start von „Google Street View“ als einen Moment, an dem viele Menschen erstmals gemerkt hätten, dass ein Leben unabhängig vom Internet nicht mehr möglich sei.
Gegenüber der Deutschen Presseagentur sagte er im Jahr 2020: „Sie mussten erkennen, dass die Digitalisierung sie erfasst, völlig unabhängig davon, ob sie nun selbst einen Computer haben oder nicht, ob sie digital affin sind oder ob sie voll noch im analogen Zeitalter stehen."
Author: James Bishop
Last Updated: 1698836522
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